Plötzlich Krise! Gut, wenn Unternehmen bereits vorab (Online-)Maßnahmen zur Eindämmung gefährlicher Situationen ergriffen haben, bevor ihnen Shitstorms durch Haus und Netz fegen. Doch viele Firmen sind nur unzureichend vorbereitet. Dann heißt es: Einsatz für Dr. Silke Hahn. Die PR-Expertin berät Unternehmen vor, während und nach Krisensituationen. Wir haben mit ihr über das weite Feld der Krisen-PR gesprochen.

PR-Expertin Prof. Dr. Silke Hahn im Interview zur Krisenkommunikation – Airmotion Media

 
Airmotion Media: Frau Dr. Hahn, wie viele Unternehmen sind Ihrer Meinung nach gut auf eine Krise vorbereitet? Sind das eher die großen mit stärkerem öffentlichen Fokus oder doch auch die kleinen bis mittelständischen Unternehmen?

Dr. Silke Hahn: Ein exaktes Mengengerüst über die Qualität der Krisenvorbereitung vermag ich nicht zu nennen, da Selbsteinschätzung und die tatsächliche Krisenfestigkeit nicht immer kongruent sind. Auch das Unterscheidungsmerkmal „großes/kleines Unternehmen“ ist nicht immer das ausschlaggebende. Entscheidend ist, ob und inwieweit das Management Krisenkommunikation als Führungsaufgabe identifiziert und strategisch angeht. Konzerne aus potenziell krisennahen Branchen, wie zum Beispiel Lebensmittel oder Chemie, agieren meist auf diesem Level. Wie der Krisenstab konkret in der akuten Krise agiert, ist dann die zweite Frage.
Auch unter den mittelständischen Unternehmen bereiten sich viele auf Krisensituationen vor, da sie deren Risiken für ihre Geschäftstätigkeiten erkennen. Auch sie haben den Wert eines strategischen Reputationsmanagements erkannt – und dafür ist ein gut geführtes Krisenmanagement essenziell.

 
Bei den KMUs dürfte auch die persönliche Bindung zum Mitarbeiter- und Kundenstamm höher sein.

Ja, der unmittelbarere, persönliche Kontakt zu ihren Anspruchsgruppen kommt den kleineren Organisationen oft zugute.

 
Krisenkommunikation – da erahnt man schon beim Hören, worum es geht. Was sind denn die Stützpfeiler, auf welche sich diese besondere Form der Unternehmenskommunikation aufbaut?

Krisenkommunikation beginnt bei der Krisenprävention. Krisen zeigen zwar sehr unterschiedliche Gesichter, kommen oft überraschend – teils, weil die Krise plötzlich eintritt oder aber die ersten Anzeichen ignoriert werden. Dennoch helfen ein unternehmens- und branchenspezifisches Risiko-Profiling und ein aktuell gehaltenes Krisenhandbuch. Sie reduzieren Stress und klären Rollen und Prozesse. Das gibt den Akteuren eine gewisse Grundsicherheit, wenn die Krise eintritt.

 
Einer bekannten Krisenmanagement-Studie zufolge glauben etwa zwei Drittel der Unternehmen, auf eine Krise und den richtigen Umgang damit vorbereitet zu sein. Wie viel Selbstüberschätzung steckt dahinter?

Ich würde eher von Fehl- als von Selbstüberschätzung sprechen. Oftmals ist es so, dass die unterschiedlichen Anforderungen an eine erfolgreiche Krisenkommunikation nicht in Einklang gebracht werden – Tempo, Dialogkompetenz, Aussagenkonsistenz, Stressresistenz, das Herunterbrechen komplexer Inhalte auf verständliche Botschaften, Glaubwürdigkeit und das persönliche Involvement der Führung. Das Thema Krisenkommunikation ist bei vielen Unternehmen in der Theorie präsent. Entscheidend in der Praxis ist aber, dass die Intervention auch von Menschen geführt wird, die im Ernstfall schnell und zielsicher agieren.

Sie suchen nach den richtigen Worten? Wir finden sie:

 
 
Eine Krise passiert meist ohne Vorwarnung. Wenn ich unvorbereitet hineingerate, können mir Verhaltensweisen aus „normalen“, zwischenmenschlichen Streitsituationen (beschwichtigen, beruhigen, sich einsichtig zeigen, Besserung geloben etc.) dienlich sein oder wirkt sich sowas eher kontraproduktiv aus?

Um gleich beim ersten Satz einzuhaken: Viele Krisen deuten sich an, treten als schleichende Krisen auf, die nicht frühzeitig erkannt oder aber ignoriert werden. Generell können die Kommunikationsaufgaben der zwischenmenschlichen Kommunikation und der beruflichen Krisenkommunikation Schnittmengen bilden. Es hilft, den Anspruchspersonen oder -Gruppen zuzuhören, anstatt nur auf die eigene Aussage fixiert zu sein. Genauso wie glaubwürdig und situationsbezogen zu agieren, statt eingeübte Versatzstücke 1 zu 1 anzuwenden.
Ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal ist jedoch: Krisenkommunikation im Auftrag eines Unternehmens erfordert, nicht nur eine persönliche Perspektive einzunehmen. Krisenkommunikateure handeln im Auftrag eines Unternehmens – und dieses Unternehmen und seine Mitarbeiter sind davon abhängig, dass die Kommunikationsexperten diese komplexe Aufgabe meistern.

 
Interne und externe Krisenkommunikation – unterscheiden sich die Muster der beiden grundsätzlich?

Grundsätzlich nicht. Anders ist jedoch: Mitarbeiter bilden in der Krise die Anspruchsgruppe, die am nächsten am Thema dran ist. Sie stehen oft mit großem Engagement hinter ihrem Arbeitgeber und sind entsprechend getroffen, wenn dessen Reputation durch eine Krise in Frage gestellt wird. Denken wir hier beispielsweise an die Mitarbeiter von VW, die während des Diesel-Skandals interviewt wurden. Fehlende Glaubwürdigkeit, Vertuschungsaktionen und Beschönigungen werden zudem von Mitarbeitern aufgrund ihrer Kenntnisse der Interna am ehesten entlarvt. Insofern spielen Ehrlichkeit und auch Tempo eine große Rolle. „Intern geht vor extern“, lautet eine goldene Regel, das gebietet der Respekt vor dem eigenen Team.

 
Stellen wir uns vor, das Unternehmen hat alles falsch gemacht, was man nur falsch machen kann: Die Bude brennt! Was raten Sie den Verantwortlichen in so einer Situation, um das sprichwörtliche Kind aus dem Brunnen zu holen?

Ich rate zu Ehrlichkeit. Keine Vertuschungen, keine Beschönigungen, keine Ausweichmanöver. Je nachdem, welche Fehler bereits gemacht wurden, sind Entschuldigungen der richtige Weg.

 
Gibt es einen allgemeinen Ratgeber oder ein Nachschlagewerk für solche Situationen, das „rote Buch“?

Das „Redbook“, genau! Ich empfehle jedem Unternehmen, ein Krisenhandbuch oder zumindest einen Krisenleitfaden zu entwickeln. Dieses Buch sollte jedoch nicht allgemein, sondern idealerweise sehr spezifisch an der Organisation ausgerichtet werden. Wer bildet den Krisenstab? Welche Abstimmungsroutinen gelten? Welche Kommunikationskanäle werden in welcher Reihenfolge bedient? Ab wann gilt eine regionale Krise als überregionale oder gar internationale Krise und erfordert, den Aktionsradius der Krisenintervention weiter zu ziehen? Dieses „rote Buch“ löst Krisen nicht, erleichtert jedoch das akute Krisenmanagement erheblich, zum Beispiel mit Checklisten und klaren Prozessvorgaben.

 
Brennpunkt Social Media: In welche Richtung hat sich die Krisenkommunikation in Zeiten von Facebook und Twitter bewegt?

Soziale Medien haben die Sichtbarkeit und Reichweite von Krisen und den Zeitdruck für die Response-Strategie deutlich erhöht. Hier geführte Dialoge sind allgegenwärtig, zudem vergisst das Netz nichts. Dazu kommt: Social-Media-Kommunikateure werden meist für die guten Zeiten engagiert und ausgebildet. Ein wichtiger Lerneffekt für viele Unternehmen ist mittlerweile, auch die schlechten Zeiten, sprich die Krisenintervention, in das Ausbildungsprofil einzubeziehen und zu trainieren.
Souverän agiert, wer Krisen-Monitoring betreibt, für die sozialen Medien Frühwarn-Strategien entwickelt – und zum Beispiel identifiziert, wer genau der Auslöser eines Shitstorms ist. Die Hemmschwelle, sich negativ bis beleidigend gegen ein Unternehmen zu äußern, liegt in den sozialen Medien erheblich niedriger als bei den klassischen Kommunikationskanälen. Auch damit muss man umgehen können.

 
Frau Dr. Hahn, fällt Ihnen spontan ein Beispiel zu gutem wie zu schlechtem Krisenmanagement (in sozialen Netzwerken) ein?

Als gutes Beispiel sehe ich die Twitter-Kommunikation der Polizei anlässlich des Amoklaufs in München im Juli 2016. Kein anderer Account wurde so häufig retweetet wie der der Münchner Polizei. Generell steht die kontinuierliche, rasche, freundliche und mitunter anlassbezogen witzige Social-Media-Kommunikation der Polizei – auch international, wie etwa in Norwegen – im öffentlichen Fokus und löst viele, meist positive Diskussionen aus. „Jede Krise braucht ein Gesicht“, hat einmal ein Interviewpartner aus der Touristikbranche zu mir gesagt. Das persönliche Statement, die Anteilnahme eines Geschäftsführers in der Krise ist immer ein Zeichen dafür, dass die Organisation vieles richtig macht.
Schlechtes Krisenmanagement tritt immer dann zutage, wenn Unternehmen vertuschen, beschönigen, in den sozialen Medien Negativposts oder -Kommentare zu löschen versuchen – Beispiel Nestlé und das legendäre „Have a break“-Video von Greenpeace. Das mündet gerne in den Streisand-Effekt – die Nutzer interessieren sich erst recht für das, was versteckt werden soll. Impulsive, im Affekt zurückgeschossene Replys sind ebenfalls ein Kardinalfehler. Das Beispiel „Rezo versus CDU“ ist ebenfalls eines, das zeigt, wie Krisenmanagement nicht laufen sollte. Hier veranschaulichte sich, welche Konsequenzen es haben kann, wenn die Macht und die Meinungsführer der neuen Medien unterschätzt werden.

Social Media (Krisen-)Management ist unser Ding:


 

Allerdings muss ja auch nicht immer etwas Schlimmes passieren. Wie sorge ich dafür, dass erst gar keine Krise entsteht?

Es ist vermessen zu denken, dass sich Krisen komplett vermeiden lassen. Jedes Unternehmen hat es jedoch selbst in der Hand, die Auswirkungen einer Krise zu reduzieren. Bezugsgruppen, die ich in guten Zeiten schlecht behandelt oder missachtet habe, werden sich in der Krise zu umso schärferen Anspruchsgruppen entwickeln. Ein Beispiel: Wenn ich Journalistenkooperationen nicht pflege, Medienvertreter lange auf Antworten warten lasse oder geringschätzig behandele, werden dies genau die Personen sein, die mir in der Krise keine Gelegenheit für ein Statement geben.

 
Sie beraten Unternehmen in PR-Fragen. Welche gravierenden, generellen Fehler entdecken Sie bei den meisten Unternehmen im Hinblick auf deren Kommunikation?

Zunächst macht ja ein Unternehmen, das Rat in punkto Krisenkommunikation sucht, vieles richtig: Gefahr erkannt, Gefahr gebannt. Umso besser, je früher das Unternehmen dies tut. Steigt das Unternehmen erst in die Krisenintervention ein, wenn schon vieles versucht und misslungen ist, wird es umso schwieriger, die Wende zum Guten einzuleiten. Damit warten einige Unternehmen zu lange.
Ein Fehler ist auch zu glauben, eine Krise beim Wettbewerber sei eine gute Sache, da sie sich sozusagen auf gegnerischem Boden abspielt. Viele Krisen entwickeln sich im Verlauf ihrer Chronologie von der Unternehmenskrise zur Branchenkrise, beispielsweise wenn es um Lebensmittel-, Nachhaltigkeits- oder Sicherheitsthemen geht. Die logische Konsequenz daraus ist, dass die Krise früher oder später auch an meine Tür klopft.

 
Was müssen Unternehmen in Zukunft stärker beim Thema Krisen-PR berücksichtigen? Wie bereiten sie sich am besten vor?

Sie sollten die Fallstricke der Echtzeit-Dialogkommunikation noch stärker in ihr Krisenmanagement einbinden. Klarheit über mein Bezugsgruppengeflecht, in dem ich mich bewege, ist ebenso wichtig, und zwar bereits in Vorkrisenphasen. Wo bestehen gute stabile Beziehungen, wo deuten sich Krisen an? Eine Herausforderung bildet auch die Tatsache, dass sich Krisen selten isolieren lassen – Probleme meiner Zulieferer und Kooperationspartner werden schnell zu meinen eigenen, vor allem, wenn es um Nachhaltigkeits-Aspekte geht.

 
Frau Dr. Hahn, herzlichen Dank, dass Sie sich Zeit für die Beantwortung unserer Fragen genommen haben!

 
Prof. Dr. Silke Hahn, Gründerin der Agentur PR-Wording – Airmotion Media

Zur Person:

Prof. Dr. Silke Hahn war zwischen 1991 und 1997 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für deutsche Philologie und Linguistik an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf tätig. Vor der Gründung ihrer eigenen Agentur PR-Wording im Jahre 2004 leitete sie in verschiedenen Unternehmen die Abteilungen Unternehmenskommunikation und Public Relations. Gleichzeitig war sie an der Universität in Düsseldorf und am Institut für Internationale Kommunikation als Dozentin tätig.
Neben ihrer selbständigen Tätigkeit ist Frau Dr. Hahn als Dozentin an der University of Applied Sciences Europe in Iserlohn angestellt, an der ihr zum Wintersemester 2010/2011 die Professur für Unternehmenskommunikation und PR verliehen wurde. Ihr Branchenfokus liegt dabei auf den Bereichen der Banken, Versicherungen, des Stadtmarketings und Tourismus, des Maschinen- und Anlagenbaus sowie auf der Personalberatung und der IT. 2018 brachte sie das Fachbuch „Krisenkommunikation in Tourismusorganisationen“ heraus.

© alle Fotos: Silke Hahn | PR-Wording

 
 

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