Think big! Wer nicht das große Ganze im Auge hat, wird langfristig keinen Erfolg haben. Davon ist Maël Roth überzeugt. Der Deutsch-Franzose darf mit Fug und Recht zu den bekanntesten (Vor-)Denkern der deutschsprachigen Content-Marketing-Szene gezählt werden. Sein Faible: Die Content-(Marketing-)Strategie.
Im Interview mit Airmotion Media spricht er über vergebene Chancen, fehlerhafte Ansätze und merkwürdige Jobbeschreibungen – aber auch über Entwicklungen, die Mut machen.

Content-Marketing-Experte Maël Roth im Interview mit Airmotion MediaQuelle: YouTube/Fast Moving Targets

 

Airmotion Media: Herr Roth, wann sprechen Sie von gelungenem Content Marketing?

Maël Roth: Das kommt auf die Wahrnehmung des Begriffs Content Marketing und die Zielsetzung an. Meiner Erfahrung nach wird Content Marketing größtenteils taktisch verwendet – damit meine ich den Einsatz von Content mit der Absicht, taktische und operative Ziele zu erreichen. Es machen zum Beispiel immer noch Best Practices die Runde, deren Erfolge rein an „Pageviews“, „Conversion in den Shop“ oder „Sichtbarkeit in Suchmaschinen“ gemessen werden. Das ist keine Kritik und kann durchaus auch als erfolgreiches Content Marketing bezeichnet werden, zumindest wenn die Zielsetzung nicht darüber hinausgeht.
 

Auf welche Faktoren kommt es dann eher an?

Nach meinem Verständnis sollte Content Marketing zwei wesentliche Punkte berücksichtigen, die fest im Konzept verankert sein sollten: Einmal, dass es sich um einen strategischen, langfristigen Kommunikationsansatz handelt. Und zum Zweiten, dass das Publikum, die potenziellen Kunden und deren Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen.

Organisationen, die Content Marketing erfolgreich betreiben wollen, müssen dieses zusammenhängende System erkennen und umsetzen. Sie können es sich nicht mehr leisten, uninteressant zu sein. Das bedeutet, dass gutes Content Marketing darauf abzielen sollte, ein  Publikum langfristig zu binden und zu begeistern, indem man hilfreiche oder inspirierende Inhalte veröffentlicht, die von einem roten Faden – der Mission oder Core Story – zusammengehalten werden. Erfolgreiches Content Marketing ist strategische, kundenzentrierte Kommunikation, die sich nicht auf einzelne Ziele im Unternehmen beschränkt.

Wenn man dies als Unternehmen langfristig und profitabel etablieren möchte, dann kommt es meiner Erfahrung nach auf folgende Faktoren an: Eine Strategie zu entwickeln, keine Angst vor Veränderungen zu haben, eine Unternehmenskultur, die Kundennähe und Kundenzentrierung fördert und genug Freiraum für Kreativität und Vertrauen in die Strategie schafft. Leider werden diese Faktoren oftmals unterschätzt.
 

Wo liegt Ihr Hauptaugenmerk beim Beobachten des Content Marketing – speziell in Deutschland?

Wie erwähnt scheitern viele Organisationen an internen Hindernissen. Das erkennt man bereits an der Betrachtung von Stellenbeschreibungen bei Stichworten wie „Content-Stratege“ und „Content-Marketing-Manager“. Denn wenn man sich diese durchliest, merkt man schnell, wie Organisationen diese Rolle interpretieren: als weitere Funktion, die neben anderen parallel etabliert wird, statt einen integrierten Ansatz darzustellen. Demzufolge sollte das Hauptaugenmerk von Personen, die diesen Ansatz im Unternehmen etablieren wollen, eine ganzheitliche Betrachtung eines kommunizierenden Systems sein, das Schritt für Schritt „fit“ gemacht werden muss.

Deshalb beschäftige ich mich seit einigen Jahren mit „Change Management“, also Konzepten und Herangehensweisen, mit denen man überprüfen kann, wie unterschiedliche Teams und Funktionen zusammenarbeiten – oder es eben nicht tun. Der Ursprung mangelnder Synergien liegt nicht selten bei „systemischen“ Fehlern, damit meine ich die Incentivierung [Anreize setzen] und Messung der KPIs in einzelnen Bereichen. Oftmals fördern Zielvorgaben einfach nicht die Zusammenarbeit. Für mich ist die größte Herausforderung der Implementierung eines strategischen Content-Marketing-Ansatzes die interne Kommunikation und Etablierung eines gemeinsamen, akzeptierten Verständnisses, von dem, was man erreichen möchte.
 

Worin besteht für Sie der Unterschied zwischen den Begriffen „Content-Strategie“ und „Content-Marketing-Strategie“?

Sehr gute Frage, die mich auch lange beschäftigt hat. Oftmals werden diese Begriffe synonym verwendet. Ich lese oft Sätze wie „unsere Content-Strategie in der Kampagne ist…“ oder „die Instagram-Content-Strategie…“. Eine einfache Erklärung des Unterschieds ist der Zweck, für den Content eingesetzt wird. Wenn wir von einer Content-Strategie sprechen, reden wir über eine Strategie für Inhalte. Inhalte werden für interne Zwecke gebraucht aber auch für externe. Dieser Content muss bestimmten Regeln folgen und im Rahmen bestimmter Frameworks stattfinden, zum Beispiel technischer Frameworks wie bei CMS oder XML, kommunikativen Frameworks oder Organisationsentwicklungs-Frameworks. Eine Content-Strategie kann nur eine ganzheitliche Betrachtung aller sein.

…und die Content-Marketing-Strategie?

Eine Content-Marketing-Strategie ist eine Marketing-Kommunikationsstrategie, die Mehrwert über Inhalte schafft. Das bedeutet, dass sie Content nicht nur im Rahmen von Marketingkampagnen einsetzt, sondern diese Kampagnen mit einem „roten Faden“ verbindet und eine Form der nützlichen Kommunikation für das Marketing erschafft. Damit können dann strategische wie operative Marketingziele verfolgt werden. Aber es bleiben Marketing-Ziele.
 

Maël Roth und seine Sicht auf das Content Marketing der Gegenwart und Zukunft – im Interview mit Airmotion MediaWelche Rolle schreiben Sie „Content Operations“ für die Zukunft des Content Marketing zu?

Ich persönlich glaube, dass Content Operations das zu oft unterschätzte Kind einer Content-Strategie ist. Darunter verstehe ich alle Aufgaben, Prozesse, Rollen und Content-Management-Elemente, die im Rahmen einer Content-Strategie anfallen. Ein besonderes Augenmerk sollte dabei meines Erachtens auf zwei, drei Kernelemente gelegt werden: Wie man eine definierte Strategie operationalisieren, was ist dafür an Infrastruktur notwendig und wie können unterschiedliche Funktionen, Rollen und Teams dabei am besten zusammenarbeiten. Denn nur wenn man interne Prozesse klarer definiert und optimiert, kann man sich kundenzentrischer Aufstellen und agieren.
Deshalb bin ich der festen Überzeugung, dass dieser Fokus auf Content Operations letztendlich den Unterschied zwischen erfolgreichen und überzeugten „Content-Unternehmen“ und frustrierten ausmachen wird.
 

Große Unternehmen investieren oftmals in großen Content, vernachlässigen aber die Planung und Distribution. Was sollte Ihrer Meinung nach wie viel Aufmerksamkeit bekommen?

Ich habe letztes Jahr einen Vortrag beim Native Advertising Camp in Köln gehalten mit dem Titel: „Strategie kommt vor Distribution: es gibt keine größere Verschwendung, als das Falsche richtig gut zu machen“. Erst wenn ich weiß, was ich kommunizieren möchte und wie ich dabei wahrgenommen werden möchte, kann ich am sinnvollsten in die Distribution investieren. Nicht selten fehlt aber einfach der rote Faden, der langfristig die Wahrnehmung der Marke und des Unternehmens beeinflusst.

Stringenz kommt nur durch eine gut durchdachte und gut operationalisierte Strategie zustande. Ein gutes Beispiel dafür ist die Kommunikation der Deutschen Bahn, die über die Jahre verschiedene Kampagnen gefahren, der Kernidee aber treu bleibt. Wenn diese Kernidee klar ist, dann wird der Impact natürlich nachhaltiger wirken.

Damit sind Sie der Frage jetzt aber ein wenig ausgewichen.

Was ich verdeutlichen will: So toll und aufwendig ein Content-Stück auch ist, wenn es nicht unterstützt wird durch weitere Elemente, die einer Kernidee folgen und treu bleiben, wird es schnell verpuffen. In dem Planungsschritt sollte man darauf achten, dass man diese Kernidee erfolgreich deklinieren und adaptieren kann, ohne die Substanz zu verlieren. Die Distributionsphase sollte demnach auch so geplant werden, dass Sichtbarkeit für diese Kernidee geschaffen wird, weniger für das aufwendig produzierte Format, auch wenn Highlight-Content sicherlich einen Boost geben kann.
 

Herr Roth, sollten Unternehmen ihr Content Marketing im eigenen Haus behalten oder auf eine externe Content-Agentur setzen?

Das ist eine schwierige Frage, die ich pauschal nicht beantworten kann. Es gibt verschiedene Modelle, wie man sich für Content-Marketing aufstellen kann. Es hängt natürlich davon ab, welche Inhouse-Kompetenzen vorhanden sind und wie sie am sinnvollsten ergänzt werden können. Dabei gilt meines Erachtens: Lieber eine langfristige Kollaboration anstreben, wenn ich einen Partner brauche! Denn gerade beim Content-Marketing kann ich mich nicht von Agentur zu Agentur hangeln, wie es bei Kampagnen früher eher der Fall war.

Externer Input kann durchaus hilfreich sein, denn der Blick von außen ist oftmals viel wert! Allerdings sollten Unternehmen darauf achten, dass die Kontrolle über Technologie und Inhalte Inhouse aufgebaut wird und bleibt. Ich habe nicht selten erlebt, dass Unternehmen nicht gerade triviale Elemente wie Account-Logins und Administrationsrechte einfach bei der Agentur lassen. Das kann schlimme Konsequenzen nach sich ziehen, sollte das Verhältnis irgendwann zerrütten.
 

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Und zuletzt: Sehen Sie eine Gefahr, die Content Marketing bedroht? Oder eine Entwicklung, die Content Marketing nicht nehmen sollte, da sonst eine ähnliche Abwärtsspirale wie etwa bei Display zu erwarten wäre?

Für einen Kommunikationsansatz, der Bedürfnisse und Wünsche von Kunden und Stakeholdern in den Vordergrund stellt, sehe ich grundsätzlich keine Bedrohung. Natürlich gibt es Funktionen und Teilbereiche, die sich verändern werden müssen. Für Texter erwarte ich schon gewisse Veränderungen. Allein wenn man sich vor Augen führt, wie rasant schnell Technologien, die Texte generieren, sich entwickeln.

Bezogen auf das Konzept des Content Marketings sehe ich eine gewisse Gefahr in der „Mehr statt besser“-Strategie, die einige Unternehmen an den Tag legen. Die Qualität des Content-Marketings sollte sich durch den „Impact“ von Inhalten messen lassen, weniger durch reine quantitative Metriken, die die meistverbreiteten Tools liefern. Diese Fokussierung auf schnell messbare Erfolge führt oft eben dazu, dass immer mehr produziert wird, aber eben auch immer durchschnittlichere Inhalte produziert und verbreitet werden. Darin sehe ich momentan die größte Gefahr.
 

Wir danken Ihnen vielmals für das Interview, Herr Roth!
 

© alle Fotos: Maël Roth